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Schlipse, Jogginghose & Selbstbewusstsein: Wie ich durch Abnehmen meine Kleidung neu entdeckt habe

Ich habe nie wirklich Krawatten getragen. Vielleicht zwei- oder dreimal, und das war’s dann auch. Auch beruflich war das kein Thema. Und doch war Kleidung für mich lange etwas, das man nicht wegen, sondern trotz seines Körpers auswählt.

Vor meiner Abnahme war die Frage, was ich anziehen könnte, einfach zu beantworten: Es musste passen. Funktionieren. Nicht drücken. Und bitte den Bauch kaschieren. Mode war für mich kein Thema. Ich wollte am besten gar nicht auffallen – und das ist in Größen jenseits der 4XL eine besondere Kunst.

Im Beruf trug ich oft Business-Hemden mit Sakko. Nicht aus Stilbewusstsein, sondern weil sie die Figur irgendwie zusammenhielten. Privat waren es Poloshirts, manchmal auch T-Shirts mit einem offenen Baumwollhemd darüber. Hauptsache: groß genug. Ob das gut aussah, spielte keine Rolle – die Modewelt hatte mit meinem Körper ohnehin nichts vor.

Der Gürtel, der alles verriet

Der Gürtel war mein Feind. Nicht, weil er drückte – das taten sie alle –, sondern weil er redete. Laut. Er sagte: „Noch ein Loch weiter!“ oder schlimmer: „Da ist kein Loch mehr!“ Morgens das Ritual: Gürtel an, Bauch einziehen, hoffen, dass der Stoff nicht laut knistert. Und dann den Tag irgendwie durchstehen, ohne daran zu denken, wie sehr man sich selbst im Weg sitzt.

Irgendwann habe ich angefangen, andere Kleidung zu tragen. Erst heimlich. Jogginghosen am Wochenende. Dann mutiger: Funktionskleidung beim Einkaufen. Und irgendwann stand ich in einer Besprechung, oben Business, unten Jogginghose. Die Kamera sah ja nur das Hemd. Ich fühlte mich wie ein Undercover-Agent im eigenen Leben.

Kleidung, die nichts mehr versteckt

Das eigentliche Umdenken kam nicht mit einer bestimmten Hose oder einem Kleidungsstück – sondern mit dem Gewicht. Mit jedem Kilo, das fiel, wurde Kleidung für mich weniger Tarnung und mehr Ausdruck. Ich erinnere mich noch genau an den ersten Tag, an dem ich einfach nur ein T-Shirt trug – ohne Überhemd, ohne Ablenkung, ohne Versteck. Nur Stoff und ich. Und die Blicke der Leute draußen.

Auch kurze Hosen waren so ein Moment. Die erste Laufrunde im Sommer, Beine frei, Nachbarn sichtbar – und ich mittendrin. Anfangs war’s Überwindung. Heute ist es Normalität. Noch nicht selbstverständlich, aber auch kein Spießrutenlauf mehr.

Mit dem sinkenden Gewicht wurde meine Kleidung mutiger. Nicht schreiend oder modisch, aber selbstbewusster. Weniger Zelt, mehr Silhouette. Weniger Tarnung, mehr Präsenz. Es ist kein modisches Erwachen. Eher ein schnippisches: „Ich darf das jetzt“.

Das letzte Hemd hat keinen Kragen

Heute habe ich noch Hemden. Auch die ganz alten. Sie hängen im Schrank wie alte Klassenfotos. Ich sehe sie manchmal an und denke: „Ach du warst das.“ Sie erinnern mich daran, wie sehr ich früher versuchte, in eine Form zu passen – stofflich wie gesellschaftlich. Aber Kleidung ist keine Uniform. Sie ist Ausdruck. Und manchmal auch Rebellion.

Ich trage immer noch nicht alles, was ich gerne würde. Aber ich trage wieder mich. Und das ist mehr, als ein gut gebügeltes Hemd je leisten konnte.



Bild von congerdesign auf Pixabay


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