Mein Magen und ich – Fernbeziehung. Ich esse, er schweigt. Oder brummt. Oder schickt Signale, so undeutlich wie WLAN im Keller.
Schwierig zu merken, wann Schluss ist. Also schaue ich auf den Teller. Und da geht der Ärger los: Der Teller spielt den Coach, ruft „Da geht noch was!“, „Das bisschen schaffst du noch!“, „Ist doch lecker, warum aufhören?“. Ehe mein Magen überhaupt eine WhatsApp schicken kann: „Heiko, es reicht“, liegt schon der Nachschlag auf der Gabel.
Die Sache mit den Portionen
Familienessen damals: Teller leer, sonst regnet’s morgen. Noch heute fühlt sich ein leerer Teller wie ein Orden an.
Meine Eltern – und noch mehr die Großeltern – hatten echten Mangel erlebt. Sie wollten, dass wir immer satt sind. „Damit du groß und stark wirst!“, sagte meine Oma und schob die zweite Portion rüber, als müsste ich morgen in den Schacht zum Erze schürfen.
So verlor ich früh das Gefühl für Portionen – gut gemeint, aber folgenschwer. Als Kind konnte ich das mit Bewegung abtrainieren, aber spätestens in der Pubertät kam die stetige Zunahme. Gesundes Maß? Kannte ich nicht. Später kamen andere Probleme dazu – alle landeten auf dem Teller.
Der Trick mit der Ablenkung
Handy neben dem Teller, Netflix läuft, das Brot verschwindet, Appetit bleibt. Multitasking sorgt dafür, dass ich mein Essen nicht sehe, nicht schmecke – und vor allem nicht merke, wann Schluss ist.
Mein Rekord: Fünf belegte Brötchen, zwei Folgen „The IT Crowd“, null Erinnerung an Geschmack oder Sättigung. Ich habe knapp 2000 kcal, in weniger als 60 Minuten, aufgenommen. Kein Rekord auf welchen ich stolz sein könnte.
Ich wusste genau, wie viele Kalorien drauf sind – aber während die Serie lief, blendete ich das einfach aus. Zähneputzen mit geschlossenen Augen: Ich tat so, als ginge mich das Ergebnis nichts an.
Früher habe ich sogar das Licht in der Küche ausgelassen, damit ich nicht so genau sah, was ich aß. Aus den Augen, aus dem Sinn – und am Ende wunderte ich mich, warum der Magen knurrte. Autopilot futterte, Kopf schaltete Ton aus. Der wahre Trick der Ablenkung: Man entkoppelt die Wahrnehmung vom Essverhalten. Du isst, aber bekommst es selbst kaum mit.
Satt ist nicht gleich satt
Es gibt das „physische Satt“ – Magen voll, Hose spannt. Und das „mentale Satt“ – dieses seltene Gefühl, wirklich genug zu haben. Früher dachte ich: Satt ist Satt. Heute weiß ich: Mein Kopf verhandelt ständig mit dem Bauch. Und oft sitzt der innere Kellner mit am Tisch und fragt: „Willst du wirklich schon aufhören?“
Manchmal höre ich auf den Bauch – dann bin ich wirklich satt. Aber zu oft gewinnt die alte Gewohnheit: Schluss ist, wenn der Teller leer ist.
Mein neuer Trick
Ich lege die Gabel beiseite. Nicht aus Zen-Gründen, sondern weil ich meinem Magen fünf Minuten Vorsprung geben will. Dann lehne ich mich zurück, lasse den Teller stumm gucken.
Manchmal trickse ich mich selbst aus: Alles Essbare sofort wegräumen. Kein Nachschlag, keine Versuchung, keine Ausreden. Dann horche ich: Hunger oder alte Gewohnheit?
Ab und zu höre ich die leisen Satt-Signale – und höre dann wirklich auf. Ein kurzer Spaziergang hilft, damit ich nicht aus Appetit weitermache.
Es klappt nicht immer. Der alte Reflex klebt wie Kaugummi am Schuh. Aber hin und wieder merke ich: Ich bin satt – und der Teller hat diesmal nichts zu melden.
Bild von Pexels auf Pixabay
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